Aspekte der Panikstörung
Therapie der Angststörungen -wohin gehen die Psychologischen Psychotherapeuten? Kann die Entwicklung allein den Wissenschaftlern überlassen bleiben?
Einleitung
Im report psychologie 1/2005 wurde die Ausgabe "Panikattacken" der Deutschen Angst-Zeitschrift beigelegt. Sie scheint einen Trend in der Psychotherapie von Angststörungen wiederzugeben. Als Psychotherapeut lehne ich die in dieser Zeitschrift vorgestellten Therapiekonzepte in zwei wesentlichen Punkten ab:
- Die kritiklose Kombination von Psychotherapie mit Medikamenten
- Das Ignorieren der Todesangst bei Panikattacken
1. Die kritiklose Kombination von Psychotherapie mit Medikamenten
In allen Artikeln wird die Behandlung von Panikattacken durch Medikamente
völlig unkritisch gesehen, ja teilweise sogar als die Behandlung
erster Wahl beschrieben. Die Angststörungen, zu denen auch die Panikattacken
gehören, entstehen durch Konditionierungsprozesse und führen
bei Löschungsresistenz zur andauernden Wiederholung von Angstzuständen
und deshalb häufig zur Chronifizierung.
Haben die psychologischen Kollegen, die solche Konzepte der medikamentösen
Angstbehandlung mittragen, vergessen, dass der Kern aller Angststörungen
die sich immer wiederholenden Flucht- und Vermeidungsreaktionen sind,
die eine Löschung der Angst verhindern? Jede Einnahme eines Medikaments
gegen Angststörungen ist - unabhängig von der pharmakologischen
Wirkung - ein solches Vermeidungsverhalten, auch wenn parallel eine Psychotherapie
durchgeführt wird. Wenn die Patienten erst einmal daran gewöhnt
sind, in der Angst zur Tablette zu greifen, sei es ein Antidepressivum,
ein Betablocker oder gar ein Tranquilizer, ist es für sie oft sehr
schwierig, sich mit der Angst und ihren Wurzeln so auseinander zu setzen,
dass eine Angstbewältigung ohne Tabletten vorstellbar wird. Eine
Angstbehandlung mit Tabletten verhindert meistens eine wirkliche Löschung
der Angst und verstärkt deshalb häufig die Chronifizierung der
Störung.
Eine medikamentöse Behandlung von Angststörungen ist nur als
Notfallmaßnahme vertretbar, wenn keine Psychotherapie möglich
ist, weil kein Therapieplatz zur Verfügung steht oder weil die Symptomatik
so akut bedrohlich ist, dass kurzfristige Symptomlinderung Vorrang hat,
oder weil andere Psychotherapiehindernisse bestehen.
In solchen Fällen muss aber auch der Patient über das Problem
der Chronifizierung durch das Vermeidungsverhalten "Einnahme von
Medikamenten gegen die Angst" aufgeklärt werden. Die Aufklärung
über dieses Medikamentenrisiko muss auf die Folgen der psychischen
Abhängigkeit hinweisen, die bei Angststörungen sehr ausgeprägt
sein können und oft von einer körperlichen Abhängigkeit
gar nicht richtig zu unterscheiden sind. Welche Ärzte, die Psychopharmaka
gegen Angststörungen verschreiben, sind über diese Zusammenhänge
so informiert, dass sie die Patienten adäquat aufklären können?
Meist beschränken sie sich auf Hinweise über die körperliche
Abhängigkeit durch Tranquilizer, wenn überhaupt. Psychologen
verfügen über dieses fachliche Wissen. Setzen wir es im Interesse
unserer Patienten ein?
Als Psychotherapeut ist es ziemlich schwierig, dieses Vermeidungsverhalten durch Medikamente, das oft eine zumindest psychische Abhängigkeit verursacht, zu bearbeiten. Denn der Patient gerät dabei schnell in einen für ihn undurchschaubaren Konflikt zwischen dem Psychologen und dem Arzt, der ihn oft zu den Medikamenten überredet hat mit der Beruhigung, dass die von ihm verschriebenen Medikamente keine Abhängigkeit machen. Aber es ist therapeutisch notwendig, dass der Patient in der Auseinandersetzung mit seiner Angst wieder Vertrauen zu sich selbst findet und sein Selbstvertrauen nicht mehr auf Medikamente aufbaut, jedenfalls dann, wenn er dauerhaft seine Angststörung bewältigen will. Diese ganze Problematik wird in keinem Artikel dieser "Angstzeitung" auch nur erwähnt. Streckenweise liest sie sich wie eine Propagandabroschüre für die Flucht in die Medikamente. Sogar die körperlich abhängig machenden Benzodiazepine, die so oft Psychotherapien von Angststörungen scheitern lassen, werden kaum problematisiert.
2. Das Ignorieren der Todesangst bei Panikattacken
Ein zentrales Thema bei fast jeder Angststörung ist die unterschwellige
Todesangst, die manchmal von den Patienten angesprochen wird, sehr oft
aber als Thema vermieden wird, weil sie zu bedrohlich erscheint.
Als Therapeuten kennen wir die besondere Problematik verdrängter
Ängste und die Notwendigkeit, sie zu bearbeiten, wenn ein dauerhafter
Therapieerfolg erreicht werden soll. Viele Patienten mit Panikattacken
berichten sehr bereitwillig von ihrer Todesangst, die sie meist bei der
ersten Panikattacke erlebt haben und die den Teufelskreis der Angst vor
solch schrecklichen Angstzuständen verursacht hat. Jedenfalls sprechen
die Patienten dann über diese Todesängste, wenn ich als Therapeut
gezielt danach frage und damit zeige, dass ich vor diesem Thema keine
Angst habe und damit auch umzugehen vermag.
Die gesellschaftliche Tabuisierung des Todes und der darauf bezogenen
Ängste ist m. E. ein wesentlicher Faktor bei der Entstehung verschiedener
Angststörungen und auch von Depressionen und anderen psychischen
Problemen.
Der ausgezeichnete Artikel über die Nahtoderfahrung in dem selben
report von Joachim Nicolay belegt doch sehr beeindruckend, dass ein Bewusstwerden
des Todes das Leben eines Menschen nachhaltig verändert, und zwar
in positiver Hinsicht. Er berichtet über verschiedene internationale
Studien, die belegen, dass Nahtoderfahrungen Ängste nachhaltig reduzieren
und zu einer sozialeren Einstellung führen sowie eine Zunahme des
Selbstwertgefühls und des Vertrauens in die Zukunft bewirken.
Diese Erkenntnisse haben nicht nur eine Bedeutung für die Behandlung
von Patienten mit einer Nahtoderfahrung, sondern weisen meiner Meinung
nach auf die große Bedeutung der Todesängste in der Psychotherapie
hin. Ich glaube nicht, dass die Psychotherapie einer Störung, bei
der eine Todesangst im Hintergrund steht, wirkliche dauerhafte Fortschritte
zu erzielen vermag, wenn die Todesangst genauso tabuisiert wird wie in
der Gesellschaft. Der Patient bleibt in diesen Ängsten gefangen und
hat nur kurzfristige Erleichterung während der Therapie. Das ist
nach meiner Erfahrung ein weiterer wesentlicher Aspekt, weshalb viele
psychische Störungen und vor allem auch Angststörungen zur Chronifizierung
neigen.
Die Bearbeitung der Todesangst erfordert allerdings auch eine Bereitschaft
der Therapeuten, in die Tiefe der noch verdeckten Ängste zu gehen.
Ich halte es für erforderlich, dass wir Psychotherapeuten uns mit
den tiefgreifenden Auswirkungen unserer durch den Tod begrenzten Existenz
auf das Denken und Fühlen intensiver auseinandersetzen. Wir haben
wie die Gesellschaft insgesamt bei diesem Thema einen erheblichen Klärungsbedarf.
Es ist Ausdruck des schwachen Niveaus dieser Zeitschrift über Panikattacken, dass 28 Seiten gefüllt werden, ohne das Thema "Todesangst" zu besprechen, das kognitiv und emotional oft im Mittelpunkt des inneren Erlebens des Patienten steht. Die "Angstspezialisten" in der Zeitschrift vermeiden offenbar genauso wie die Patienten mit Angststörungen, sich mit der Heftigkeit der Angst und ihren Wurzeln in der Todesangst zu konfrontieren. Sie täuschen stattdessen ein "wissenschaftliches" Behandlungsniveau vor durch eine umfangreiche Beschäftigung mit biologischen und neuropsychologischen Aspekten dieser Störungen. Dadurch wird indirekt auch die Selbstverständlichkeit der Medikamenteneinnahme unterstrichen.
Hintergründe ?
Ich sehe den Zusammenhang zwischen diesen beiden Aspekten darin, dass
bei nur oberflächlicher, aber nicht nachhaltiger Wirkung der Psychotherapie
kritiklos die Einnahme von Medikamenten propagiert wird. Kann es sein,
dass sich hier gerade die forschende, "wissenschaftliche" Psychotherapie
profiliert? Wie viele "wissenschaftlich" an Angststörungen
arbeitende Psychologen sind eigentlich schon von Pharmafirmen über
die Finanzierung von Studien gesponsert worden?
Mit solchen Behandlungskonzepten erhalten wir uns unsere Patienten, welche
die Angststörungen nicht wirklich loswerden. Oder produzieren wir
gar die Notwendigkeit zu immer neuen Behandlungen, so wie es in der Psychiatrie
oft der Fall ist?
Wollen wir wirklich auf diesen Zug aufspringen? Berufspolitisch verspielen
wir mit solchen Therapierezepten unseren Ruf, eine wirkliche Hilfe zur
Lösung der Probleme, zur Bewältigung von Störungen anzubieten.
Viele Patienten suchen die Alternative zur pharmakologischen Verdrängung
von Symptomen und Ängsten, weil sie wissen oder ahnen, dass die Medikamente
oft nicht wirklich helfen, sondern zur Dauerbehandlung führen. Wir
müssen uns damit auseinander setzen, wieweit diese Konzepte den Patienten
schaden, was jedoch kaum erforscht wird.
Kein Resümee, nur offene Fragen
Seit 28 Jahren arbeite ich in der Psychiatrie und als Psychotherapeut. Beim Lesen dieser Beilage "Deutsche Angst-Zeitschrift" zur Fachzeitschrift meines Berufsverbandes hatte ich das Gefühl, aus dem heutigen Mainstream der Psychotherapie herausgefallen zu sein. Ist das der Trend, den die Psychologische Psychotherapie geht? Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die an einer ernsthaften Erörterung dieser beiden Themen, Psychopharmaka bei Angststörungen und die Bedeutung der Todesangst in der Psychotherapie, interessiert sind? Macht es Sinn, sich damit gemeinsam kritisch auseinander zu setzen?
Dieser Artikel wurde auf der Website des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen sowie in einer gekürzten Fassung als Leserbrief in der Fachzeitung des BDP "report psychologie" veröffentlicht.